Eine Reise zum Mittelpunkt der Erde

Salomon Kroonenberg

Warum die Hölle nach Schwefel stinkt

Eine geologische Höllenfahrt

Aus dem Niederländischen von Andreas Ecke

2013, 272 S. mit ca. 110 farb. Abb., Reg., geb. mit Schutzumschlag
Format 16,5 x 24,0 cm
ISBN 978-3-86312-057-3

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Warum haben die Astronomen als Forschungsgebiet den Himmel bekommen, die Geologen aber die Hölle? Das Paradies steht für das höchste Glück, die Hölle für den jämmerlichsten Tod. Zu Unrecht, findet Salomon Kroonenberg, für den die Unterwelt eine Welt voller Wunder ist.
Wäre die Erde durchsichtig, würden die Menschen den ganzen Tag flach auf dem Bauch liegen, um in die Tiefe zu schauen. Sie fänden die Erde so schön, dass sie sich lieber verbrennen als begraben ließen, damit der Boden rein bleiben kann. Und sie würden zum Erdkern reisen wollen. Genau das macht Kroonenberg: Er betreibt gewissermaßen geologische Feldforschung unter der Erde, mit jedem Kapitel steigt er tiefer hinab, wobei er sich an Dantes Höllenkreisen orientiert. Entstanden ist eine unterhaltsame Geologie der Unterwelt – gewürzt mit Kroonenbergs persönlichen Erlebnissen und einem kräftigen Schuss Mythologie: so reisen wir etwa mit Vergils Aeneis unter Kroonenbergs Führung zu den Campi Flegrei, den »brennenden Feldern« bei Neapel.

 

- Salomon Kroonenberg ist ein renommierter Geologe und begnadeter Erzähler
- Faszinierende Einblicke in die Unterwelt
- Ein unterhaltsames und dazu schön illustriertes Buch





Zum Autor:
Salomon Kroonenberg ist Professor für Geologie an der TU Delft.

 


Die magische Kugel

In der Tat fand ich mich am Rand der leidvollen Tiefe
des Abgrunds, welcher den Hall
des nicht endenden Wehgeschreis empfängt.
Dunkel und tief war er und so dunstig,
dass ich, wie sehr ich den Blick in die Tiefe bohrte,
nicht irgendetwas darin unterschied.
Dante Alighieri, Die Hölle, IV, 7-12


Warum haben die Astronomen als Forschungsgebiet den Himmel bekommen, wir Geologen aber die Hölle? Sie können Milliarden von Lichtjahren weit in den Weltraum blicken, wir dagegen sehen nicht einmal den Maulwurf, der unseren Rasen ruiniert. Sie reisen zum Mars, wir aber nicht zum Mittelpunkt der Erde. Der Staat spendiert Milliarden für die bemannte Raumfahrt, doch ihre Begräbnisse müssen auch Astronauten selbst bezahlen. Verliebte blicken zum Mond hinauf, bestrafte Übeltäter auf den Boden. Das Paradies steht für das höchste Glück und die Hölle für den jämmerlichsten Tod. Warum haben wir Geologen immer das Nachsehen?
Ich weiß natürlich, warum. Weil der Himmel durchsichtig ist und die Erde nicht. Die Evolution hat uns keine Augen geschenkt, die durch Stein sehen können. Und im Dunkeln werden wir ängstlich und denken an den Tod. Deshalb liegt die Hölle unter der Erde. Wäre die Erde durchsichtig wie eine gewaltige Murmel, würden die Menschen den ganzen Tag flach auf dem Bauch liegen, um in die Tiefe zu schauen. Sie würden beobachten, wie sich die Maulwürfe mit ihren rosa Händchen mühsam durch den Boden schaufeln. Sie würden die Samen keimen und um das Vorrecht kämpfen sehen, im Frühling als Erste herauszukommen: das Gefleckte Lungenkraut, den Gundermann oder das Buschwindröschen. Und sie würden darin wetteifern, möglichst weit ins Innere zu blicken. Die Menschen fänden die Erde so schön, dass sie sich lieber verbrennen als begraben ließen, damit der Boden rein bleiben kann. Und sie würden zum Erdkern reisen wollen.

Doch die Erde ist nicht durchsichtig, sie ist die Unterwelt, das Totenreich, in fast allen Kulturen der Welt. Dabei ist unter der Oberfläche so viel Schönes verborgen: glitzernde Erze und Metalle, prachtvolle gelbe Schwefelkrusten, blaue Saphire, roter Cinnabarit, grüner Malachit, meterlange Gipskristalle mit messerscharfen Kanten, Tropfsteinhöhlen, unterirdische Flüsse, zerbrechliche Muschelschalen aus der Urzeit der Evolution und riesige Knochen von ausgestorbenen Ungeheuern.
Für den Geologen ist die Erde eine magische Kugel, vergleichbar mit einem Gobstopper. Sie wissen nicht, was ein Gobstopper ist? Eine Süßigkeit aus dem angelsächsischen Raum, die es aber in manchen Süßwarengeschäften und im Versandhandel auch bei uns zu kaufen gibt. Gobstopper sind sehr harte, zuckersüße Kugeln, die größten passen kaum in den Mund. Außen sind sie meist weiß mit bunten Punkten, aber wenn man eine Weile an einer solchen Kugel gelutscht hat und sie wieder aus dem Mund nimmt, hat sie plötzlich eine andere Farbe, Blau oder Grün oder Rosa. Nach jedem längeren Lutschen (nicht Beißen!) entdeckt man wieder eine neue Schicht. Ich habe ein paar Gobstopper gekauft und den Techniker unseres Labors gebeten, einen davon in der Mitte durchzusägen, wie er es sonst mit Gesteinsproben tut, um Präparate fürs Mikroskop herzustellen. Und siehe da: Das Ergebnis gibt den konzentrischen Aufbau der Erdkugel perfekt wieder.

Es hat lange gedauert, bis unser großer Gobstopper als solcher erkannt wurde. Nicht, dass die Menschen früher nicht darüber nachgedacht hätten, wie die Erde wohl unter der Oberfläche aussehen mochte. Doch Mythos und Wissenschaft, Legende und Beobachtung, Furcht und Neugier vermischten sich dabei auf faszinierende Weise. Keiner von all den Helden meiner Gymnasialzeit, die irgendwann einmal aus der Unterwelt zurückgekehrt sind, hat über die Beschaffenheit des Erdinneren berichtet. Odysseus, Theseus, Orpheus, Herakles, Aeneas, Dante und viele andere sind in die Unterwelt hinabgestiegen, die meisten um einer Frau willen, einige aber auch, um Rat zu suchen oder nur aus Neugier, doch ohne bei der Rückkehr zu erwähnen, was sie an Schönem gesehen oder über den Aufbau der unterirdischen Welt gehört hatten. Sie haben Sünder in Gräben voll kochendem Pech zappeln sehen, klären uns aber nicht darüber auf, woher dieses Pech stammt. Sie haben den im Eis eingefrorenen Luzifer erblickt, sagen aber nicht, warum es am Mittelpunkt der Erde so kalt war. Gustave Doré hat die großartigsten Landschaften zu Dantes Hölle gezeichnet, aber wir erfahren nicht, wie diese Landschaften entstanden sind. Haben wir es dort mit Kalkstein oder mit Basalt zu tun? Und warum stinkt die Hölle nach Schwefel?
Es wird Zeit, dass jemand die Hölle mit dem Auge des Geologen erkundet. Ich werde dort unten Feldforschung betreiben, mit Hammer und Kompass, auf den Spuren meiner alten Helden. Sobald ich den Eingang gefunden habe, steige ich hinab, in jedem Kapitel ein kleines Stück tiefer, wobei ich mich mehr oder weniger an Dantes Höllenkreisen orientiere; und ich werde Ihnen ausführlich davon berichten – das heißt, wenn ich es schaffe, wieder herauszukommen. Dabei geht es mir nicht um makabren Jenseits-Tourismus. Ich möchte zeigen, dass Furcht und Fantasie lange Zeit stärker waren als wissenschaftliche Neugier, dass wir aber auch heute noch viel Fantasie brauchen, um uns vorzustellen, wie es im Erdinneren aussieht.


Denn was unter der Erdoberfläche liegt, ist der am wenigsten bekannte Teil unseres Planeten geblieben, obwohl der Mittelpunkt der Erde nicht viel weiter von uns entfernt ist als Amsterdam von Washington. Außerdem wird es buchstäblich höchste Zeit, den Boden unter unseren Füßen genauer zu erforschen, denn angesichts der Unzahl von Löchern, die wir in ihn hineinbohren, ist es ein Wunder, dass überhaupt noch etwas von ihm übrig ist. Die Erde wird ausgesaugt, ausgehöhlt, ausgeweidet, und dann werden die Hohlräume mit allen möglichen Dingen gefüllt, die uns oberirdisch zu gefährlich werden. Wir verbuddeln radioaktiven Abfall in der Erde, die selbst natürliche Reaktoren hervorgebracht hat. Wir pumpen das letzte bisschen CO2 in leere Erdgasfelder, während das Leben selbst 90 Prozent von allem ursprünglichen CO2 als Kalkstein in der Erdkruste abgelagert hat. Und warum tun wir das? Die Luft muss sauber sein, sagen wir, ebenso das Wasser und der Boden. Und was unter dem Boden liegt, nicht? Empedokles’ vier Elemente Erde, Wasser, Feuer und Luft werden nicht im gleichen Maße geachtet; immer kommt die Erde schlechter weg.


In den Schichten der Erde ist die Geschichte des Planeten aufgeschrieben; sie berichten von den unvorstellbaren Extremen unseres Klimas, von vernichtenden Erdbeben, Eruptionen und Überschwemmungen, von der Evolution des Menschen. Alles, was wir über unsere Vorfahren wissen, über die Neandertaler oder den Homo erectus, haben wir von ausgegrabenen Skeletten erfahren, nicht von Seelen, denen wir bei Weltraumspaziergängen begegnet sind. Auch die Geschichte der Atmosphäre ist nicht in der Atmosphäre selbst festgehalten: Kohlendioxidmoleküle verbleiben dort höchstens ein paar tausend Jahre, bevor sie wieder von den Ozeanen oder Pflanzen aufgenommen werden. Die Geschichte der Atmosphäre ist in Erdschichten konserviert, in den Sedimenten der Tiefsee oder tiefer Binnenseen, in Mooren, in den Luftbläschen innerhalb der Eiskappen Grönlands und Antarktikas. Man kann den Himmel nicht verstehen, ohne die Hölle zu kennen. Die Erde ist ihr eigenes Geschichtsbuch.
Vielleicht sollten wir aufhören, die unterirdische Welt als eine Art Black Box zu sehen, als potentielles Tunnelsystem, als Rohstoff-Supermarkt, als Endstation für allerlei Dreck, den wir unter der Oberfläche verschwinden lassen, wie wir ihn zu Hause unter den Teppich kehren, oder als letzte Ruhestätte für die Toten. Um sie stattdessen als unersetzliches Archiv zu begreifen, und als lebendiges Ökosystem, dessen Reichtum wir noch kaum ermessen können.

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