Das ist die Hölle. Und das. Und das
Der Geologe Salomon Kroonenberg sucht das Tor zur Unterwelt Von Marion Lühe
Folgt man der Darstellung Dantes, ist die Hölle ein trichterförmiger Abgrund mit neun Kreisen, der im Zentrum der Erde in eine Spitze ausläuft, den Sitz Luzifers. Wo aber befindet sich der Eingang? Homer beschreibt ihn im elften Gesang der "Odyssee" als einen Ort im wolkenverhangenen Land der Kimmerer am Rande des Okeanos, den findige Altertumsforscher später irgendwo am Schwarzen Meer lokalisierten. Vergil wiederum verortet ihn am Lago d'Averno in der Gegend von Neapel. Angeblich stieg ein scharfer Dunst aus dem See, und Vögel, die darüberflogen, fielen tot vom Himmel.
Plinius der Ältere und Seneca dagegen erkannten das Tor zur Hölle in der nahe gelegenen Grotta del Cane, der man eine todbringende Kraft nachsagte. Führte man einen Hund in die Höhle, wurde der nach kurzer Zeit ohnmächtig und war, wenn man ihn nicht rausschaffte, bald darauf tot. Das Experiment wurde bis in die Neuzeit – auch mit Fröschen und Hühnern – oft wiederholt und entwickelte sich zur Touristenattraktion. Nicht einmal die spätere Erkenntnis, dass keineswegs giftige oder gar höllische Dämpfe, sondern das am Boden hochkonzentrierte Kohlendioxid für den raschen Hundetod sorgten, konnte die Faszination des Ortes schmälern.
Aber hat die in Mythen und alten Geschichten beschriebene Unterwelt überhaupt eine Entsprechung in der Wirklichkeit? Und wenn ja: Ist die Hölle aus Kalkstein oder Basalt? Und wo mündet der sagenhafte Styx oder Archeron, der wichtigste Fluss der Unterwelt, den die toten Seelen auf Charons Fähre überqueren mussten? Salomon Kroonenberg, früher Professor für Geologie an der Universität Delft, wollte es genau wissen und hat sich auf die Suche begeben – in Jerusalem ebenso wie im russisch-ukrainischen Grenzgebiet, in Griechenland und Süditalien. Weit gekommen – das vorweggenommen – ist er damit nicht. Der von lieblichen Weinhügeln umgebene Lago d'Averno mutet eher als Urlaubsparadies denn als Vorhof zur Hölle an, und am griechischen Fluss Acheron, den Kroonenberg stromaufwärts bis zur Schlucht durchwatet, tummeln sich Touristen, und der moderne Charon rudert keinen Nachen mehr, sondern vermietet Schlauchboote.
Salomon Kroonenbergs Verbindung aus persönlichem Erlebnisbericht, Altertumsforschung und Geologie aber erweist sich trotz magerer Funde als fruchtbar. Wie nebenbei plaudert der Professor über die Entstehung der Karst- und Höhlenlandschaft, erzählt von unterirdischen Flüssen und den immer noch aktiven Vulkanen in der Gegend rund um Neapel. Wir erfahren, wo genau Odysseus' Reise verlief und was es etwa mit dem Obolus auf sich hat, den die Verstorbenen dem Fährmann entrichten mussten. Dass wir die Landschaften, die Homer oder Vergil als Bühne für ihre Heldengeschichten dienten, heute nur noch erahnen können, liege, schreibt Kroonenberg, an den dramatischen Veränderungen, die in den letzten viertausend Jahren stattgefunden haben. Ohne die geologische Geschichte zu rekonstruieren, könnten wir die historische Vorstellungswelt des Menschen nicht verstehen.
Salomon Kroonenberg: Warum die Hölle nach Schwefel stinkt. Primus, Darmstadt. 272 S., 29,90 €.
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